DGB, AWO, VdK, Katholische Betriebsseelsorge, Diakonisches Werk u.a. bündeln die Kräfte für die Stärkung der gesetzlichen Rente
MICHELSTADT / ODENWALDKREIS.
Unter dem Motto „Altersarmut stoppen – Rente sichern!“ hatte das „Bündnis gegen Altersarmut im Odenwaldkreis“ zu einer politischen Podiumsdiskussion in das Mehrgenerationenhaus der Arbeiterwohlfahrt (AWO) nach Michelstadt eingeladen. Dem Bündnis gehören der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), die AWO, der Sozialverband VdK, die Katholische Betriebsseelsorge (KBS), die Arbeitsloseninitiative KOMPASS, das Caritaszentrum Erbach, das Katholische Dekanat, das Diakonische Werk (DW) und das Evangelische Dekanat im Odenwaldkreis an. Die Bündnispartner wollen ihre Kräfte zur Stärkung der gesetzlichen Rente bündeln. Sie schließen sich damit auf Kreisebene den dementsprechenden Forderungen ihrer Organisationen an, die diese derzeit auch auf Landesebene bei der gemeinsamen Kampagne „Altersarmut verhindern! Heute die Armut von morgen bekämpfen“ im Rahmen des „Bündnis für Soziale Gerechtigkeit in Hessen “ vertreten.
Zu Beginn des Abends wurde ein Videozusammenschnitt eingespielt, der einem Filmprojekt anlässlich eines Kulturseminars für Erwerbslose entstammte. Dabei wirkten auch TeilnehmerInnen der Arbeitsloseninitiative Kompass aus dem Odenwaldkreis mit. Die DarstellerInnen entwickelten Szenen und Sketche aus Alltagssituationen wie Wohnungssuche, Flaschensammeln oder Arbeiten zum Mindestlohn und setzen sich zu einer Nachrichtensendung zusammen. Sie machen darin eindrücklich auf die Problemlagen von sozial benachteiligten Menschen im Alter aufmerksam – wozu diese aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen zusammengestellt wurden. Die Teilnehmenden werden aufgrund ihrer langen Erwerbslosigkeit von Altersarmut betroffen sein. Manche beziehen Erwerbsminderungsrenten, die nicht zum Leben ausreichen und aufgestockt werden müssen. Zukunftsängste haben viele, die meisten haben darüber aber ihren Lebensmut nicht verloren.
Eva Heldmann, Gemeindepädagogin mit derzeitiger Zuständigkeit für den Aufgabenbereich Gesellschaftliche Verantwortung im Evangelischen Dekanat Odenwald, moderierte die Veranstaltung und betonte in ihrem Eröffnungsstatement: „Altersarmut ist kein Einzelschicksal, sondern ein gesamt- gesellschaftliches Problem. Die gesetzliche Rente ist das Spiegelbild des Erwerbslebens, weil die Einkommen aus der Erwerbsarbeit die Rentenhöhe bestimmen. Menschen, die längere Zeiten von Erwerbslosigkeit, von Arbeit in Niedriglohnjobs, Minijobs oder Teilzeitarbeit im Lebenslauf haben, werden im Alter zwangsläufig eine geringe Rente beziehen. Schon heute ist in Hessen jede/r sechste/r RentnerIn von Armut bedroht. Durch die zunehmende Schwächung der gesetzlichen Rentenversicherung droht somit zukünftig Millionen von Menschen der soziale Abstieg im Alter. Altersarmut ist schon heute ein massives Problem, das sich noch massiv verschärfen wird, wenn nicht endlich gegengesteuert wird. Die insgesamten Auswirkungen der Altersarmut bergen gewaltige soziale und politische Gefahren für Frieden und Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft. Daher muss dringend von allen dafür Verantwortlichen mit geeigneten sozialen und politischen Maßnahmen dieser Problematik entgegengewirkt werden. Diesbezüglich ist ein grundlegender politischer Kurswechsel notwendig. Dafür setzen wir uns gemeinsam und solidarisch ein. Mit Veranstaltungen und Aktionen wollen wir möglichst viele Menschen und die politischen Entscheidungsträger/innen für die Unterstützung und Umsetzung unserer Forderungen gewinnen.“
Bärbel Simon, Leiterin des Diakonischen Werks Odenwald, machte anhand von Fallbeispielen aus ihrer Beratungsarbeit deutlich, was Altersarmut für die Betroffenen bedeutet: „Mehr als jede zweite Altersrente in Deutschland beträgt weniger als 900 Euro im Monat. Es gibt viel versteckte Armut, auch hier im Odenwaldkreis. Viele Menschen, die jahrzehntelang gearbeitet, Kinder erzogen oder Angehörige gepflegt haben, bekommen nur eine sehr geringe Rente. Obwohl ihnen die staatliche Grundsicherung im Alter zusteht, nehmen viele ihre Anspruch nicht wahr, weil sie ihre Ansprüche nicht kennen oder weil sie sich schämen „aufs Amt“ zu gehen oder weil Angst haben, dass sich ihre Kinder oder ihre Enkel vom Staat zum Kostenersatz herangezogen werden. Viele wissen nicht, wie sie über die Runden kommen sollen. Eine notwendige neue Brille oder Zahnersatz sind dann einfach nicht drin. “.
Markus Mai, Leiter der AWO Altenwohn- und Pflegeheime im Odenwaldkreis, betonte die Notwendigkeit, die Renten- und Pflegeversicherung auf eine breite, solide Grundlage zu stellen: „Es ist dringend notwendig, dass auch Beamte, Freiberufler, Unternehmer und Politiker in die Sozialversicherung einzahlen. Ebenso notwendig ist, dass endlich ein allgemeinverbindlicher Tarifvertrag für soziale Dienstleistungen durchgesetzt wird, damit die Angebote im Wettbewerb vergleichbar werden. Entscheidend für die soziale Absicherung im Alter ist die gesetzliche Rente, nicht die Privatrente. Gerade diejenigen, die am meisten von Altersarmut bedroht sind, können sich eine private Vorsorge gar nicht leisten, weil ihnen das Geld dafür fehlt“.
Horst Raupp, Regionssekretär des DGB Südhessen, machte deutlich: „Kaum ein anderes Industrieland hat die gesetzliche Rente so stark abgesenkt wie Deutschland. Das Rentenniveau der stärksten Volkswirtschaft in Europa befindet sich weit unter dem europäischen Durchschnitt. In Österreich ist die Rente im Durchschnitt um vierzig Prozent höher. Deutschland hat zudem einen riesigen Niedriglohnsektor. Um Altersarmut wirksam zu bekämpfen, müssen Lohndumping und Ausbeutungsarbeitsverhältnisse entschlossen bekämpft und die Tarifbindung erhöht werden. Zudem muss die gesetzliche Rente als zentrale Säule der Alterssicherung gestärkt und das Rentenniveau wieder deutlich erhöht werden. Löhne und Renten müssen in einem reichen Land wie Deutschland für ein gutes Leben reichen“. Dringend notwendig sei zudem die rasche Einführung einer Grundrente für langjährig Versicherte deutlich oberhalb der Grundsicherung und ohne entwürdigende Bedürftigkeitsprüfung: „Davon würden vor allem Frauen profitieren, die viele Jahre und Jahrzehnte für wenig Geld im Niedriglohnsektor gearbeitet haben, Kinder erzogen und Angehörige gepflegt haben. Sie dürfen am Ende eines langen Arbeitslebens nicht in die Grundsicherung fallen“.
Stefan Schmitt, Mitglied des Kreisvorstandes des Sozialverbandes VdK im Odenwaldkreis, forderte einen grundlegenden Kurswechsel in der Rentenpolitik und eine deutliche Verbesserung bei den Erwerbsminderungsrenten: „Wer sich kaputt gearbeitet hat, darf nicht auch noch mit lebenslangen Abschlägen hohen bei der Rente bestraft werden. Zudem ist es zutiefst ungerecht, Renten zu besteuern, aber nicht Millionäre. Ein reiches Land wie Deutschland kann sich ohne Probleme einen höheren Steuerzuschuss bei der Rente leisten. Spitzeneinkommen, Konzerngewinne, große Vermögen, reiche Erbschaften und Finanztransaktionen müssen endlich angemessen besteuert werden. Dann kommt auch Geld in die öffentlichen Kassen“.
Michael Ohlemüller, Leiter der Regionalstelle der Katholischen Betriebsseelsorge, war aufgrund von Krankheit bei der Veranstaltung entschuldigt, ließ aber seine solidarischen Grüße überbringen.
An die Podiumsstatements schloss sich eine sehr engagierte Diskussion der Veranstaltungsteilnehmer/innen an. Der Erhöhung des Renteneintrittsalters wurde eine klare und eindeutige Absage erteilt. Britta Ziefle, Sprecherin der DGB-Gewerkschaftsfrauen im Odenwaldkreis, betonte die Notwendigkeit der Durchsetzung des Prinzips „Gleiches Geld für gleiche und gleichwertige Arbeit“, denn: „Lohnarmut und Altersarmut sind in erster Linie weiblich“.