Internationaler Frauentag

Gedanken zum Internationalen Frauentag

 

SELBSTBESTIMMUNG BEI VERHÜTUNG NICHT SELBSTVERSTÄNDLICH

 

 

Vieles, was eigentlich selbstverständlich ist, wie ausreichender und angemessener Wohnraum, Arbeits- und Mutterschutz, die Sicherung der Existenz oder körperliche und reproduktive Selbstbestimmung wird durch real existierende Strukturen in der praktischen Umsetzung untergraben. Das nennt man „strukturelle Gewalt“. Die Beraterinnen und Berater in den Beratungsstellen der Wohlfahrtsverbände können davon ein Lied singen. Familien wohnen in viel zu kleinen Wohnungen mit Schimmelbefall, der die Gesundheit v.a. der kleinen Kinder gefährdet – und finden aus den verschiedensten Gründen keine bessere Wohnung. Frauenhäuser haben keine freien Plätze mehr, weil Ursachen für häusliche Gewalt wie psychische Belastung und Existenzsorgen in den letzten zwei Jahren von der Politik durch Lockdowns u.ä. ins Unerträgliche gesteigert wurden. Dubiose Arbeitgeber nutzen die Unkenntnis von zugewanderten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, um in Graubereichen des Arbeitsmarktes das Arbeitsrecht zu unterlaufen. Ausgrenzung ist wieder gesellschaftsfähig und modern geworden, obwohl sich längst alle einig waren, dass gesellschaftliche Probleme nur gemeinsam gelöst werden können und Inklusion das Gebot der Stunde ist. Und – das ist die Erfahrung aus den Schwangerschaftsberatungsstellen – es sind vor allem immer wieder Frauen in besonderer Weise von Ungerechtigkeit betroffen. Das nationale Gesundheitsziel „Gesundheit rund um die Geburt“ wird durch politische Entscheidungen weit verfehlt, indem die strukturellen Herausforderungen in der Praxis ignoriert werden. So gibt es aktuell im Odenwald nur noch so wenige Hebammen in freier Praxis, dass Schwangere mit einem Entbindungstermin vor November kaum eine Chance auf entsprechende Versorgung haben. Auch das Thema Familienplanung trifft in der Konsequenz vor allem Frauen: längst nicht alle Paare haben Zugang zu sicherer Verhütung.
Das ist der Grund, warum dieser Artikel zum Weltfrauentag erscheint. Im ohnehin knapp bemessenen Regelsatz des ALG II z.B. sind genau 17,14 € für „Gesundheitspflege“ vorgesehen. Die Monatspackung der „Pille“ kostet bereits zwischen 15,- und 30,- €. Wird eine sichere Langzeitverhütung gewünscht, sind zwischen 160,- und 350,- € für ein Implantat oder eine Spirale zu zahlen. Auch bei abgeschlossener Familienplanung ist für eine Sterilisation mit bis zu 500,- € zu rechnen. Was also tun, wenn das Geld dafür nicht ausreicht? Wird dann nicht optimal verhütet, sind es wieder die Frauen, die letztendlich angesichts aller körperlichen, seelischen und sozialen Risiken mit der Entscheidung alleine stehen, ob sie eine ungeplante oder sogar ungewollte Schwangerschaft austragen oder nicht. Allein, dass sich eine Frau aus wirtschaftlichen Gründen für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet ( in der Schwangerschaftskonfliktberatung wurde das in 50% der Fälle als ein Hauptgrund angegeben), oder weil sie Nachteile in Ausbildung oder Beruf befürchtet, oder ihr Entlastung und Unterstützung fehlen (es gibt nicht viele Krippenplätze, so dass mit Wartezeiten zu rechnen ist; Elterngeld wird nur für einen Teil der Elternzeit gezahlt), bildet eine gesellschaftliche Situation ab, die einer aufgeklärten sozialliberalen Gesellschaft nicht würdig ist.
In einigen Landkreisen wurden sogenannte Verhütungsmittel-Fonds gegründet, über die einkommensschwache Frauen (Langzeit-) Verhütung finanzieren können. Im Odenwaldkreis wurde ein solcher Fonds zwar bereits konzipiert, aber bisher noch nicht umgesetzt- weil kein Etat dafür vorhanden ist.
Die Missstände zu benennen, ist ein erster Schritt. Für die Umsetzung braucht es Entscheidungen von Politikern, die sich für gesellschaftliches Wohl und soziale Gerechtigkeit einsetzen.

Anja Pinkert, Schwangerenberaterin